Die Reproduktionszahlen

Während der COVID-19 Pandemie wurden in den Medien immer wieder die Reproduktionszahlen thematisiert. Wir lernen hier, was diese Zahlen bedeuten.

Die Nettoreproduktionszahl

Um das Absinken der Ausbreitungsgeschwindigkeit zu erfassen, arbeitet man bei der Untersuchung von Pandemien oft mit einer korrigierten Reproduktionszahl, der sogenannten Nettoreproduktionszahl R. Um sie von der Funktion R aus dem SIR-Modell zu unterscheiden, werden wir in Formeln stets Rnetto schreiben. Wie oben gesehen gilt für Rnetto aufgrund der zwangsläufig eintretenden Immunisierung der Bevölkerung

\[R_\text{netto}(t)=R_0\frac{S(t)}{N},\]

wenn sich alle Menschen genauso verhalten, wie vor der Pandemie. Durch gezielte Maßnahmen wie Gesichtsmasken, Abstandhalten oder Quarantäne kann die Zahl noch weiter sinken, wir haben also eher \[R_\text{netto}(t)\leq R_0\frac{S(t)}{N}.\] Daher ist es etwas knifflig, aus statistischen Daten eine Beziehung zwischen Rnetto und R0 abzuleiten. In Schätzung der aktuellen Entwicklung der SARS-CoV-2-Epidemie in Deutschland – Nowcasting. Epid Bull 2020;17:10–16 S. 13 f. ist beschrieben, wie das RKI die Nettoreproduktionszahl schätzt.

Dazu wird der Begriff der Generationszeit verwendet. Diese ist die Zeitspanne, die von der Infektion einer Person A bis zur Infketion der Folgefälle (also der Personen, die von A infiziert werden) vergeht. Dieser Zeitraum wird auf 4 Tage geschätzt. (Achtung: der Begriff Generationszeit wird in der Biologie manchmal anders verwendet)

Nun kann man schließen, dass der Faktor, um den sich die Zahl an neuen Infektionen nach 4 Tagen verändert hat, der Nettoreproduktionszahl entspricht. D.h. wenn Rnetto=2 ist, dann haben wir nach 4 Tagen etwa doppelt so viele Neuinfketionen. Wenn Rnetto<1 ist, dann ist die Zahl der Neuinfektionen rückläufig.

Aufgabe 1

In den folgenden Tabellen sind erneut die Zahlen der deutschlandweiten Coronafälle aufgelistet. Aus diesen Daten ist es leicht, sich die Zahl der täglichen Neuinfektionen zu berechnen und sich einen Überblick über den zeitlichen Verlauf der Nettoreproduktionszahl zu verschaffen.

Welches war der höchste Wert für Rnetto? Wann ist Rnetto unter 2 gefallen?

Prognosen erstellen

Unser Wissen über den Zusammenhang zwischen dem verwendeten mathematischen Modell (hier: das SIR-Modell) und den statistisch messbaren Daten (R0 und Rnetto) können wir nutzen, um Prognosen über den zukünfigen Verlauf der Krankheit zu erstellen. Wir illustrieren das an zwei Beispielen, für deren Bearbeitung erneut das Geogebramodell verwendet werden kann (siehe unten).

Aufgabe 2

Nach Beginn einer Pandemie wurden in einem Land folgende Daten gesammelt:

  • Der mittlere Zeitraum, während dessen eine Person infektiös ist, beträgt 6 Tage
  • Nach der Genesung sind die Patienten in aller Regel immun gegen die Krankheit
  • Die Basisreproduktionszahl liegt zwischen 4 und 5, allerdings haben erste Hygienemaßnahmen die Ansteckungsgefahr halbiert
  • Aktuell ist 1% der Bevölkerung infiziert, 8% sind bereits genesen und ein Viertel ist geimpft
  • Etwa 1% der Kranken muss auf der Intensivstation behandelt werden. Es gibt genug Intensivbetten für 0,1% der Bevölkerung

Wie viele Menschen dürfen gleichzeitig krank sein, so dass die Kapazitäten der Krankenhäuser gerade noch ausreichen? Wie lange dauert es, bis diese Grenze erreicht ist, falls keine weiteren Maßnahmen ergriffen werden?

Aufgabe 3

Wir betrachten erneut die Situation aus Aufgabe 2. Es wird erwogen, durch Ausgangsbeschränkungen die Ausbreitung der Krankheit zu reduzieren. Wie stark müsste jede Person ihre persönlichen Kontakte reduzieren, um den Kollaps des Gesundheitssystems zu vermeiden?

Eine Studie hat darüberhinaus herausgefunden, dass das Infektionsrisiko beim Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung um 20% sinkt. Gib eine Empfehlung ab, welche Maßnahmen unter den gegebenen Bedingungen ergriffen werden sollen.

Die Erstellung dieses Kursmaterials wurde durch den Europäischen Sozialfonds im Rahmen des Projekts Schulentwicklung für mathematische Modellierung in MINT-Fächern (SchuMaMoMINT) finanziell gefördert.