Zufällige Irrfahrten

Wir betrachten die zufällige Irrfahrt als Beispiel eines stochastischen Prozesses und untersuchen einige Besonderheiten für unsere Anwendung im zellulären Automaten.

Definition zufällige Irrfahrt

Eine zufällige Irrfahrt ist ein stochastischer Prozess, d.h. sie ist ein Zufallsereignis, das einer zeitlichen Entwicklung unterliegt. Sie ist zeitlich diskret, d.h. wir können die zeitliche Entwicklung in Zeitschritte unterteilen. Bei jedem neuen Zeitschritt bewegt sich der Prozess in eine zufällige Richtung. Dabei ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung für die möglichen Richtungen bei allen Zeitschritten identisch und die einzelnen Zeitschritte sind stochastisch unabhängig.

Wir haben auf der vorherigen Seite bereits eine zufällige Irrfahrt beobachtet. Diese hatte die Eigenschaft, dass unsere virtuelle Person bei jedem Schritt entweder ein Feld nach oben, unten, links oder rechts gehen konnte. Alle vier Richtungen waren gleich wahrscheinlich.

Eigenschaften der zufälligen Irrfahrt

Im folgenden Beispiel betrachten wir noch einmal eine zufällige Irrfahrt. Dieses Mal können wir allerdings als weiteren Modellparameter die Wahrscheinlichkeiten für die vier Richtungen ändern. Außerdem werden die Koordinaten für die Endposition ausgegeben.

Aufgabe 1

(Download des python-Codes zum Arbeiten auf dem eigenen Rechner)

  1. Simuliere eine zufällige Irrfahrt, bei der alle vier Richtungen gleich wahrscheinlich sind. Wähle zunächst eine Anzahl an Zeitschritten und bestimme die Endposition der Irrfahrt mit der Computersimulation.
  2. Führe diese Simulation 4 Mal aus, berechne für jede Wiederholung den Abstand der Endposition zum Koordinatenursprung und bilde aus diesen Werten den Mittelwert.
  3. Wiederhole dieses Vorgehen für eine andere Auswahl an Zeitschritten, bis du die mittleren Abstände für insgesamt 10 Zeitschrittwerte bestimmt hast.
  4. Trage die mittleren Abstände in ein Schaubild ein. Die x-Koordinate soll dabei die Anzahl der Zeitschritte, die y-Koordinate den Abstand darstellen.
  5. Welche Funktion könnte zu den gemessenen Daten passen?
  6. Optional: Versuche in einer Tabellenkalkulation einen Funktion an die Daten zu fitten (wie geht das?).

Diese Aufgabe lässt sich auch gut als Gruppenarbeit bearbeiten. In diesem Fall wählt jeder nur eine Anzahl an Zeitschritten und wiederholt das Experiment 10 Mal. Die erhobenen Daten können dann zusammengetragen und in ein Schaubild eingetragen werden.

Aufgabe 2 (optional / für Fortgeschrittene)

Wie lässt sich der erwartete Verlauf der mittleren zurückgelegten Entfernung nach n Schritten herleiten? Dazu betrachten wir zunächst die Zufallsvariable A, welche die Veränderung der Koordinaten nach einem Schritt angibt. A kann vier Werte annehmen, die alle gleich wahrscheinlich sind. Der Ereignisraum ist die Menge

\[\{(1,0),(0,1),(-1,0),(0,-1)\}.\]
  1. Wie lauten der Erwartungswert und die Varianz für die Zufallsvariable A?
  2. Die Endposition nach n Schritten erhalten wir aus einer Wiederholung des Experiments mit n Kopien von A \[A_1,A_2,\ldots,A_n.\] Damit ist die Zufallsvariable B, welche die Endposition nach n Schritten angibt, die Summe \[B=A_1+A_2+\ldots+A_n.\] Was wissen wir über Erwartungswert und Varianz von B, wenn wir bedenken, dass die einzelnen Kopien von A stochastisch unabhängig sind?
  3. Der mittlere quadratische Abstand nach n Schritten entspricht der Standardabweichung der Zufallsvariablen B. Mit den obigen Zwischenschritten kann der Wert berechnen werden.

Aufagbe 3

Experimentiere mit den Wahrscheinlichkeiten für die vier Richtungen und beobachte, wie sich das Verhalten der Simulation ändert.

Randbedingungen

In den bisherigen Simulationen konnte es passieren, dass die virtuelle Figur über den Rand der simulierten Welt hinaus läuft. Das war vor allem dann sehr wahrscheinlich, wenn die Anzahl der Zeitschritte größer war als das Quadrat der Breite der Welt. Wenn unser Modell die simulierten Individuen tatsächlich daran hindern soll, über den Rand der Welt hinauszugehen, dann müssen wir verhindern, dass die zufällige Irrfahrt durch diese Ränder hindurchgeht. Da es verschiedene Wege gibt, das zu erreichen, erhalten wir unterschiedliche Randbedingungen für unser Modell. Wir stellen hier drei typische Randbedingungen aus der Welt der mathematischen Modellierung vor.

Reflexion

Eine Figur, die nach dem bisherigen Modell in die Außenwand laufen würde, wird reflektiert. D.h. die Bewegungsrichtung wird umgekehrt, so dass die Figur sich wieder von der Wand entfernt.

Klebrige Reflexion

Wenn die Figur in die Wand hineinlaufen will, bleibt sie stattdessen einfach stehen. Irgendwann wird sich die Figur wieder in die andere Richtung bewegen. Weil es aber möglich ist, dass sie eine geraume Zeit vor der Wand stehen bleibt (also an der Wand klebt), spricht man von klebriger Reflexion.

Absorption

Läuft die Figur in die Wand hinein, dann wird sie aus der virtuellen Welt entfernt.

Aufgabe

(Download des python-Codes zum Arbeiten auf dem eigenen Rechner)

In dieser Simulation bewegen sich mehrere Individuen durch die simulierte Welt. Bei jedem Schritt wird geprüft, ob es zu einer Kollision kommt. Bei einer Kollision mit der Wand wird eine Aktion ausgeführt, die zur ausgewählten Randbedingung passt. Bei einer Kollision mit einer anderen Person wird immer die Aktion ausgeführt, die zur Randbedingung der Klebrigen Reflexion passt (d.h. die Person bleibt stehen).

Teste die verschiedenen Bedingungen aus. Die gültige Randbedingung wird in der Größe Randbedingung gespeichert. Die Randbedingungen, die nicht verwendet werden sollen, werden mit einem Rautesymbol auskommentiert, damit sie nicht verwendet werden. Um die Randbedingung zu verändern, entferne das Rautezeichen bei der Bedingung deiner Wahl und füge bei den anderen ein Rautezeichen ein.

Die Erstellung dieses Kursmaterials wurde durch den Europäischen Sozialfonds im Rahmen des Projekts Schulentwicklung für mathematische Modellierung in MINT-Fächern (SchuMaMoMINT) finanziell gefördert.