Monte-Carlo-Simulationen
Wir erstellen unser erstes vollständiges Modell zur Krankheitsausbreitung mit zellulären Automaten und lernen das Konzept der Monte-Carlo-Simulation kennen, um experimentelle Forschungsergebnisse zu erzeugen.
Von der Irrfahrt zum Krankheitsmodell
Um Krankheitsausbreitung modellieren zu können, fehlen unserem zellulären Automaten noch zwei Konzepte: Wir müssen unsere Population in verschiedene Gruppen aufteilen und wir müssen erklären, wie sich Leute infizieren können.
SIR
Um die Population wieder in die SIR-Kategorien einzuteilen, wird jedem Individuum ein Zahlenwert von 1 bis 3 zugewiesen. 1 bedeutet gesund, 2 bedeutet infiziert und 3 bedeutet genesen (und damit immun).
In der Visualisierung werden die Figuren in verschiedenen Farben dargestellt. Blau bedeutet gesund, rot bedeutet krank und grün bedeutet genesen.
Bei jedem Zeitschritt wird nun geprüft, ob
- eine gesunde Person durch eine kranke infiziert wird,
- eine kranke Person die Krankheit hinter sich hat.
Modellparameter
Um die zusätzlichen Elemente des Modells einzubinden, werden neue Modellparameter verwendet.
- Ein Teil der Population ist von Beginn an krank. Diese Anzahl wird in der Variable "kranke" gespeichert.
- "krankheitsdauer" gibt an, wie viele Zeitschritte es dauert, bis eine kranke Person wieder gesund wird.
- Die Größe "nachbarschaft" gibt an, wie groß der Absand ist, innerhalb dessen sich eine Person an einem Kranken anstecken kann.
- Die Größe "infektionsRate" gibt an, wie wahrscheinlich es ist (in Prozent), dass man krank wird, wenn man sich in der Nachbarschaft eines Kranken befindet.
Aufgabe
(Download des python-Codes zum Arbeiten auf dem eigenen Rechner)
Teste die Simulation und verändere die Parameter. Beobachte, wie sich die Zahl der Infektionen insgesamt verhält im Vergleich zu der Maximalzahl an Personen, die gleichzeitig krank sind.
Monte-Carlo-Simulationen
Definition Monte-Carlo-Simulation
Eine Monte-Carlo-Simulation ist ein Verfahren, das eine gesuchte Größe mit Hilfe von relativen Häufigkeiten bestimmen kann. Die Grundidee ist, dass ein Zufallsexperiment sehr häufig wiederholt wird. Das Gesetz der großen Zahlen besagt dann, dass die relative Häufigkeit eines bestimmten Ereignisses (stochastisch) gegen die tatsächliche Wahrscheinlichkeit des Ereignisses konvergiert.
Monte-Carlo-Simulationen werden gerne in Situationen verwendet, in denen es schwierig ist, eine gesuchte Größe durch exakte mathematische Berechnungen zu bestimmen. Stattdessen wird ein Zufallsexperiment konstruiert, aus dessen Wahrscheinlichkeitsverteilung man Rückschlüsse auf die gesuchte Größe ziehen kann.
Beispiel
Die obige Simulation kann dazu verwendet werden, funktionale Zusammenhänge zwischen verschiedenen Parametern unseres Modells zu untersuchen. Wir können beispielsweise die Frage stellen, inwiefern die Gesamtzahl an infizierten Personen (bei ausreichender Beobachtungszeit) innerhalb unseres Modells mit der Infektionsrate zusammenhängt. Dazu könnte man folgendermaßen vorgehen:
- Wir untersuchen verschiedene Werte für die Infektionsrate, z.B. wählen wir die Infektionsraten 1 Prozent, 2 Prozent und 5 Prozent und gehen anschließend in Zehnerschritten von 10 Prozent bis 90 Prozent.
- Die anderen Parameter wählen wir fest, z.B. breite=75, zeitschritte=200, individuen=150, kranke=15 krankheitsdauer=20, nachbarschaft=5, randbedingung='reflektierend'.
- Nun wiederholen wir das Experiment für jede Wahl der Infektionsrate n mal. n sollte dabei möglichst groß sein, ohne dass die Rechenzeit uns vor ein logistisches Problem stellt. Wir wählen n=20
- Für jede Wahl der Infektionsrate bestimmen wir den Mittelwert aus der Anzahl an Personen, die mit der Krankheit infiziert werden. Diese Mittelwerte stellen wir in einem Schaubild dar.
Die Ergebnisse einer solchen Monte-Carlo-Simulation sehen wir in folgendem Schaubild:
Aufgabe
Überlege dir eine Größe (z.B. Gesamtzahl der Infektionen; Maximalzahl der Personen, die Gleichzeitig infiziert sind; Reproduktionszahl R, ...), die du untersuchen möchstest und eine Größe, die variiert werden soll. Wähle die übrigen Parameter in einer Weise, die geeignet erscheint. Erstelle dann ein Schaubild in ähnlicher Weise wie im obigen Beispiel.
Diese Aufgabe lässt sich sehr gut in einer Gruppe (z.B. mit einer Schulklasse) bearbeiten, dann kann die Arbeit aufgeteilt werden und man schafft mehr Wiederholungen in einer vertretbaren Zeitspanne. Wahlweise kann auch eine Variante des Programms verwendet werden, bei der die Visualisierung entfernt wurde und mehrere Wiederholungen automatisch hintereinander ausgeführt werden (siehe hier).
Interpretation des Modells
Verkürzungsmerkmal
Das Modell, das wir erarbeitet haben, ist offensichtlich eine sehr entfremdete Repräsentation der Wirklichkeit:
- Die modellierte Umgebung wird zu einem Rechteck vereinfacht.
- Die Population, die hier betrachtet wird, ist sehr klein.
- Die Menschen bewegen sich durch eine zufällige Irrfahrt, was sie in Wirklichkeit nicht tun
- Die Welt besitzt keine Substruktur wie Gebäude, Straßen, Städte usw.
- Die Kranken verhalten sich genauso wie die Gesunden, bewegen sich also immernoch genauso viel.
- ...
Manche dieser Verkürzungen lassen sich durch ein besseres Modell beheben. Andere (z.B. die geringe Populationsgröße) scheitern an grundlegenden Eigenschaften des Modells, z.B. am Rechenaufwand. Wenn man eine komplexe Welt mit realistischem menschlichen Verhalten und einer Populationsgröße von mehreren tausend Individuen betrachten wollte, würde der Rechenaufwand signifikant steigen. Es ist zu erwarten, dass bei einer Verdopplung der Zahl der Individuen die Rechenzeit um den Faktor 4 steigt. Bei einer Verdreifachung der Zahl der Individuen steigt die Rechenzeit um den Faktor 9. Die Komplexität des Programms ist quadratisch mit der Zahl der Individuen gekoppelt.
Pragmatisches Merkmal
Aufgrund der oben genannten Verkürzungen ist es nicht denkbar, eine sinnvolle Prognose der Krankheitsfälle in einer realen Stadt oder einem Land zu tätigen. Die Modelle eignen sich jedoch, um die mathematischen Eigenschaften der simulierten Welt qualitativ zu untersuchen. Wir können z.B. fragen "wie ist der funktionale Zusammenhang zwischen der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Krankheit und der Dichte der Population". Da hier im Gegensatz zum klassischen SIR-Modell auch die räumliche Ausbreitung eine Rolle spielt, wird man einen anderen Zusammenhang erwarten. So kann man die Stärken unterschiedlicher Modelle nutzen, um insgesamt ein realistischeres Bild der realen Situation zu erhalten.
Intention
Wir werden die Stärken dieses Modells nutzen, um gewisse Effekte sichtbar zu machen, die in der politischen Diskussion um die COVID-19 Pandemie immer wieder thematisiert wurden. Dazu zählen Dinge wie Social Distancing, das Nachverfolgen und Isolieren von erkrankten Personen, oder die Regelmäßigkeit, mit der Personen am öffentlichen Leben, z.B. in der Schule, am Arbeitsplatz oder in Geschäften, teilnehmen.
Die Simulation ohne Visualisierung
Die Erstellung dieses Kursmaterials wurde durch den Europäischen Sozialfonds im Rahmen des Projekts Schulentwicklung für mathematische Modellierung in MINT-Fächern (SchuMaMoMINT) finanziell gefördert.